Georg Toepfer
Historisches Wörterbuch der Biologie, Rezension

Informationsmittel (IFB). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft
http://ifb.bsz-bw.de/bsz35235433Xrez-1.pdf

Besprechung von Till Kinzel

Wer sich regelmäßig mit Nachschlagewerken aller Art befaßt, wie sie aus dem Bereich der Philosophie und der Geisteswissenschaften in großer Zahl vorliegen, wird mit großem Interesse, aber auch mit Spannung zu dem monumentalen Werk greifen, das der Metzler-Verlag mit dem Historischen Wörterbuch der Biologie des Berliner Kulturwissenschaftlers bzw. Philosophen Georg Toepfer vorgelegt hat. Toepfer hat, allein das ist bemerkenswert, das gesamte Werk mit gut zweieinhalb Tausend Seiten selbständig verfaßt. Wenn man die Fülle des verarbeiteten Materials bedenkt, ist dies schon eine große Leistung, auch wenn man, wie Toepfer selbst, die großartigen Erleichterungen in Rechnung stellt, die für solche Forschungsprojekte durch die fortgeschrittene Digitalisierung großer Buch- und Zeitschriftenbestände der Vergangenheit gegeben sind. Aktualisierungen des Lexikons z.B. bibliographischer Art findet man auf der Website www.biological-concepts.com, doch läßt diese Website, die vom Verfasser dieses Wörterbuches betrieben wird, nicht erkennen, daß sie offenbar vor allem als Service-Leistung für die Nutzer des Buches gedacht ist. Immerhin hat hier jeder Nutzer die Möglichkeit, Ergänzungen einzutragen. Damit besteht zumindest partiell die Möglichkeit, durch die Alleinautorschaft mitbedingte Lücken rasch zu beheben. Zusätzlich bietet der Verlag auf seiner Website mittels eines im Buch abgedruckten Zugangscodes die Möglichkeit, auf vier Dateien zuzugreifen, wobei drei davon nur aus im Buch abgedruckten Listen bestehen: Wortverzeichnis, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis. Über den Wert dieses Angebots kann man sicher streiten, dem Rezensenten erscheint er indes eher gering. Wichtig ist aber die als vierte Datei zum Herunterladen bereitgestellte, über dreihundert Seiten umfassende Bibliografie zur Philosophie und Geschichte der Biologie, die ein wertvolles Hilfsmittel auf dem neuesten Stand der Literatur darstellt und teils sogar im Erscheinen begriffene Werke verzeichnet. Sie dürfte wohl aus Kostengründen nicht in das Buch selbst aufgenommen worden sein, aber hier ist die digitale Form schon wegen der Durchsuchbarkeit sinnvoll.

Das historische Material einer Wissenschaft, die als Naturwissenschaft oder auch Lebenswissenschaft heute stark im Fokus des Interesses steht, ist überwältigend groß. Die Ordnung dieses Materials mittels einer begrenzten Zahl von Grundbegriffen ist dem Verfasser, das wird man sagen dürfen, glänzend gelungen - was im Detail eventuell zu verbessern ist, wird man der Fachkritik überlassen müssen. Aber auch so wird man schon sagen dürfen, daß die Einträge ausgesprochen informativ ausgefallen sind und auch kontroverse Diskussionen sachlich und abgewogen referiert werden, so daß der Interessierte genügend Anhaltspunkte besitzt, sich weiter mit einer Frage zu befassen. Der historische Ansatz zeigt hier sehr schön, wie sehr in mancher Hinsicht Terminologien wissenschaftlicher Art im Fluß sein können, wie sehr aber auch historisch-politische Begleitumstände dafür relevant sein können, ob bestimmte Begriffe wie z.B. der der Rasse als legitim betrachtet werden.

Wichtig ist aber, daß mit dem Historischen Wörterbuch der Biologie kein Speziallexikon nur für Fachleute, also Biologen, vorgelegt wurde, sondern ein Hilfsmittel für alle Kulturwissenschaftler im weiteren Sinne, einschließlich der Philosophen, die sich mit Phänomenen des Lebens und allgemein der Natur befassen. Gerade die in letzter Zeit wieder erneut Aufmerksamkeit erlangende Naturphilosophie wird sich glücklich schätzen, mit dem vorliegenden Werk ein unverzichtbares Hilfsmittel zu besitzen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der man oft notgedrungen bestimmte Begrifflichkeiten verwendet, wird so unterwandert, indem man durch die Lektüre der ausführlichen Lemmata ein historisches Bewußtsein dafür bekommt, wie diese Begriffe entstanden sind und in welchen Kontexten sie ursprünglich und dann im weiteren Verlauf der Entwicklung Verwendung fanden.

Das Wörterbuch geht aber insofern über die Grundbegriffe hinaus, als es auch den Begriff der Biologie selbst thematisiert sowie eine eindeutig philosophische Konzeption wie die Bioethik ebenfalls berücksichtigt, die gegenwärtig aus naheliegenden Gründen viel diskutiert wird, inklusive ihrer Rezeption in literaturwissenschaftlichen Kontexten. Es zeigt sich an vielen Stellen, daß etliche biologische Grundbegriffe eine starke philosophisch relevante Komponente haben, da sie nämlich in einem Bezugssystem stehen, das ständig Unterscheidungen trifft, etwa solche der Abgrenzung von Mensch und Tier, die sich unmittelbar auf die Fragen danach auswirken, was Kommunikation und Sprache, was Bewußtsein oder Kultur sind.

Das Lemma zum Tier geht auch auf die kulturgeschichtlich relevanten Beziehungen des Menschen zu den Tieren ein, sogar einschließlich Rechtsproblematik, der Tierphilosophie, der Rolle von Tieren in den Massenmedien sowie in der Kinderkultur. Das Wörterbuch drückt sich auch nicht vor dem großen Gegenbegriff zum Leben, der im Zentrum der Biologie steht, nämlich dem Tod, dem ein eigenes Lemma gewidmet ist, in dem es um sämtliche Aspekte des Themas geht, z.B. Altern, Artentod, Ende des Lebens auf der Erde, Massenaussterben, gewaltsamer und natürlicher Tod etc. Ein weiterer biologischer Grundbegriff, der im Grunde überbiologisch ist oder überbiologische Implikationen hat, ist Umwelt, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentralbegriff der Biologie wurde und heute in aller Munde ist.

Die Lemmata - es sind 112 - bieten die Hauptstruktur des Buches, doch werden innerhalb dieser Lemmata weitere Themen abgehandelt, die 1760 Nebeneinträge ausmachen. Ein Kästchen macht am Anfang des Lemmas auf die enthaltenen Nebeneinträge aufmerksam und verweist zugleich auf das Jahr ihrer Prägung als Begriff sowie den jeweiligen Autor, der dem Begriff Geltung verschafft hat. Diese Nebeneinträge werden chronologisch verzeichnet, was einem Historischen Wörterbuch der Biologie natürlich angemessen ist. Wer möchte, kann aufgrund des angegebenen Seitenverweises sofort dort nachschlagen. Die Lemmata enthalten zahlreiche Nachweise in Endnoten, ergänzt durch ein knappes Verzeichnis relevanter Literatur, die ebenfalls chronologisch aufgeführt ist.

Das Historische Wörterbuch der Biologie stellt eine Glanzleistung des Verfassers dar und gehört füglich in jede größere Bibliothek zum Grundbestand der Nachschlagewerke. Auch Biologie- und Philosophielehrer werden das Buch benützen.

Dem Metzler-Verlag ist dafür zu danken, die Edition eines derartigen Nachschlagewerkes zu einem vergleichsweise günstigen Preis ermöglicht zu haben. Für den Privatnutzer wird man dennoch hoffen dürfen, daß sich die gebundene Ausgabe so gut verkauft, daß es bald auch eine kartonierte Sonderausgabe geben wird. Die Anschaulichkeit des dreibändigen Werkes wird noch durch zahlreiche Abbildungen (579) und Tabellen (308) erhöht.

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